Kulturfenster

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April 2024

Satirische Kunstform statt „fake news“ – Die Mockumentary

Spätestens seit dem Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 sind wir mit Begriffen wie „alternative Fakten“ oder „fake news“ bestens vertraut – vielen kommt es nicht mehr auf die Richtigkeit von Ereignissen an sondern auf die Wahrnehmung davon, nicht die Fakten dominieren sondern deren subjektive Interpretation. Mittlerweile gibt es in den sozialen Medien eine derartige Fülle von Berichten zu einzelnen Themen, dass sich die tatsächlichen Begebenheiten nur schwer rekonstruieren lassen, hinzu kommt die ansteigende Verwendung von künstlicher Intelligenz, die die Wahrheit noch stärker verzerren können. Diese Verdrehung von Tatsachen besitzt jedoch ein künstlerisches Vorbild – die Mockumentary.

Der Begriff setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern „mock“ („vortäuschen“) und „documentary“ („Dokumentarfilm“). Hierbei handelt es sich um ein Filmgenre, bei dem Elemente des Dokumentarfilms parodiert werden, etwa der Anspruch auf Objektivität, kulturelle Relevanz, aber auch das gutgläubige Publikum oder Verschwörungstheorien. Bei einer Mockumentary werden scheinbar reale Vorgänge satirisch inszeniert und mit Materialien von realen Ereignissen vermischt. Untermauert wird das Ganze durch nachgestellte Zeitzeugeninterviews oder auch Aussagen historisch relevanter Persönlichkeiten, die in einem vollkommen anderen Zusammenhang getätigt wurden. Ebenso greift man auf visuelle und auditive Effekte zurück (verwackelte Bilder einer Handkamera oder auch ein schlechter Ton), um Authentizität zu suggerieren. Ebenso gilt aber auch, dass die in einer Mockumentary aufgestellten Thesen widerlegbar sein müssen und das eine Mockumentary auch als solche gekennzeichnet sein muss, damit sie nicht mit einer Dokumentation verwechselt wird.

Sinn und Zweck einer Mockumentary ist es nicht, die Zuschauer zu verwirren oder zu verunsichern, vielmehr bildet sie in den meisten Fällen eine Art Gesellschaftssatire, sie kann aber auch geschichtliche Planspiele oder sogar Elemente des Horrorfilms aufgreifen. Die trifft auf eines der frühesten Beispiele zu. Am 30. Oktober 1938 wurde auf dem amerikanischen Radiosender CBS das Hörspiel War oft he Worlds“ des 22jährigen Orson Welles gesendet, das auf dem gleichnamigen Roman von H. G. Wells basierte. Orson Welles inszenierte die Geschichte als Sondermeldung, mit der das laufende Programm unterbrochen wurde, Außenreporter waren live bei Raumschifflandungen dabei, während sich im Studio Experten äußerten. Die Inszenierung führte zu besorgten Anrufen beim Radiosender, manche Zeitungen berichteten andern Tags fälschlicherweise vorn einer Massenpanik. Diese Vermischung aus Realität und Fiktion kann als ein Vorläufer der filmischen Mockumentary gelten.

Ab den 1960er Jahren entstanden zahlreiche Mockumentarys sowohl für das Kino wie auch für das Fernsehen. In Deutschland sorgte beispielsweise der Fernsehfilm Das Millionenspiel (1970) für großen Wirbel. Hier wird eine Unterhaltungsshow (inklusive Fernsehansage) nachgestellt, bei welcher der Kandidat eine Million DM gewinnen kann, wenn er eine einwöchige Flucht vor Auftragsmördern überlebt. Das Publikum ist ausdrücklich dazu angehalten, den Kandidaten zu unterstützen oder auch ihn auffliegen zu lassen – der Film zeigt die Finalshow am Ende der Woche, die Geschichte wird in Rückblenden erzählt. Authentisch wirkt der Film nicht nur durch das Fernsehshowformat, sondern auch durch die Besetzung; der Showmaster wurde von Dieter Thomas Heck, der die ZDF-Hitparade moderierte, im Außenteam wirkten die Reporter Heribert Faßbender und Werner Sonne mit. Die Moderationstexte im Film schrieb Heck selbst. Der Film war als Satire auf den Sittenverfall der Gesellschaft angelegt – immer wieder gibt es dort auch Interviews mit Showgästen oder Leuten auf der Straße, die sich zu diesem Format äußern – aber er nahm auch viele Entwicklungen in der Fernsehlandschaft vorweg (Werbeunterbrechungen, Privatfernsehen, das Prinzip der Casting-Shows, die Möglichkeit eines Millionengewinns im TV). Der Reaktionen waren unterschiedlich; während die meisten Zuschauer empört reagierten, riefen einige auch bei der im Film eingeblendeten Telefonnummer an, um sich als Kandidat zu bewerben.

Die Bandbreite dieses Genres ist äußerst umfangreich. 1992 inszenierte Walter Wippersberg mit Das Fest des Huhnes eine fiktive Expedition eines afrikanischen Ethnologen zur Erforschung der Sitten und Gebräuche der Ureinwohner Österreichs. In dieser skurrilen Satire wurde die Beobachtung anderer Völker aus der Sicht der Weißen parodiert. Doch eine Mockumentary kann auch ein ernstzunehmendes Anliegen verfolgen; 1995 realisierte Guido Knopp das Planspiel Der dritte Weltkrieg. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn die Ereignisse von 1989 zu einem militärischen Konflikt zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt geführt hätten? Hierfür wurden nicht nur dokumentarische Szenen und Augenzeugenberichte nachgestellt, sondern Originalaufnahmen aus dieser Zeit in einem völlig anderen Kontext montiert. Anliegen des Films war zu zeigen, dass die Veränderung weniger Stellschrauben genügt hätte, um eine friedliche Revolution in einen Atomkrieg zu verwandeln.

Doch auch bei Kinobesuchern stieß die Mockumentary auf große Resonanz, etwa bei Zelig (1982) oder Mann beißt Hund (1992). Großes Aufsehen erregte jedoch der Horrorfilm Blair Witch Project von 1999. Erstmals wurde ein solcher Film mit einer Internetkampagne im Vorfeld beworben, es wurde behauptet, dabei handle es sich um das Filmmaterial dreier Studenten, die in den Wäldern von Maryland (USA) der Sage um eine Hexe nachgingen. Die Studenten seien nie von dieser Expedition zurückgekehrt, ein Jahr später habe man das Filmmaterial gefunden, hier kann zwar von der Verwendung von fake news gesprochen werden, die Sache wurde jedoch offiziell geklärt.

Ein beeindruckendes Beispiel für eine Mockumentary bildet der Film Kubrick, Nixon und der Mann im Mond aus dem Jahr 2002. Regisseur William Karle nimmt hier eine berühmte Verschwörungstheorie aufs Korn, der zufolge die Apollo-Mondmissionen der Amerikaner im Fernsehstudio produziert wurden, von niemand geringerem als Stanley Kubrick. Kubrick habe, aufgrund seiner Leistung bei seinem Film 2001 von der Nixon-Regierung den Auftrag bekommen, die Mondlandung vorzutäuschen. Als „Zeitzeugen“ konnte Karle prominente Persönlichkeiten vor die Kamera holen, u. A. Buzz Aldrin, Jan Harlan (Schwager von Stanley Kubrick), Christiane Kubrick (die Frau des Regisseurs), Henry Kissinger und Donald Rumsfeld. Die Auflösung dieses Schwindels erfolgt erst im Abspann des Films. Diese gelungene Satire wurde 2003 mit dem Adolf-Grimm-Preis ausgezeichnet. Alle diese Beispiele zeigen, dass das Wesen der Mockumentary nicht darin besteht, alternative Wahrheiten zu verbreiten. Diese Gattung versteht sich in allererster Linie als Satire auf den Dokumentarfilm, die Gutgläubigkeit des Publikums, auf unterschiedliche Verschwörungstheorien. Zuweilen möchte sie auch mahnen bzw. mögliche Alternativen zur Realität aufzeigen oder einfach nur unterhalten.  

Lutz Riehl

Quelle: Verschiedene Artikel in Wikipedia

Folgende im Beitrag erwähnte Mockumentarys sind bei YouTube zu finden:

  • Hörspiel War of the Worlds (Orson Welles)
  • Das Millionenspiel
  • Das Fest des Huhnes
  • Der dritte Weltkrieg
  • Kubrick, Nixon und der Mann im Mond